„Vätergeschichten“ besteht aus Fingerabdrücken von Vater-Kind-Beziehungen.

Grundidee

„Vätergeschichten“ besteht aus Fingerabdrücken von Vater-Kind-Beziehungen. (Corinne Bromundt, Illustratorin)

Im Auftrag von FamOS (Familien Ost-Schweiz) und männer.ch entwickelte Mark Riklin, Begründer der „Meldestelle für Glücksmomente“, anlässlich des 6. Vätertags 2012 das Projekt “Vätergeschichten“: Männer, Frauen und Kinder erzählten in öffentlichen Schreibstuben und ausgewählten Unternehmen von ihren Erinnerungen an ihre Väter, Grossväter oder an ihr Vatersein. Bis zum Vätertag 2013 ist ein Archiv aus 200 Szenen entstanden. “Vätergeschichten“ ist auf mehrere Jahre angelegt und verfolgt den Ansatz Väterlichkeit sowohl in der Öffentlichkeit als auch in Betrieben an kleinen Geschichten zu veranschaulichen. Dadurch soll ein Gegenpol zur problemorientierten Darstellung von Väterlichkeit entstehen. Biografische Erinnerungen korrigieren stereotype Bilder, zeigen die Vielfalt von Väterlichkeit und regen an, sich Zeit fürs Vatersein zu nehmen.

Aus dem Geschichtenarchiv

Der Ring

Meine Hochzeit. Mein Vater hält am Fest eine Ansprache. Das habe ich erwartet, das tut er nicht selten. Plötzlich greift er in seine Kitteltasche und gibt mir etwas. Einen Ring! Es ist der Ring, den mein Vater lange getragen und bereits von seinem Vater erhalten hatte. Diese Symbolik bedeutet mir viel, es berührt mich und erfüllt mich mit Stolz. Den Ring bewahre ich bis heute an einem würdigen Ort auf.

  • Sohn: 1963, Pfarrer
  • Vater: 1930, Kaufmann mit eigenem Geschäft
  • Jahr der Szene: 2000

Kribbeln im Bauch

Jeden Moment ist es so weit. Meine Nervosität steigt, ich habe ein Kribbeln im Bauch. Das Auto meines Vaters biegt um die Ecke. Die Zeit des Wartens ist vorbei. Unsere Zufahrtsstraße habe ich zusammen mit meinen Brüdern mit Kreide verziert: „Herzlich willkommen!“ Wir rennen neben dem fahrenden Auto her.

Die Wiedersehensfreude ist groß. Mein Vater lacht, ist braungebrannt und seine Reisetaschen riechen verführerisch nach exotischen und reifen Früchten aus Nairobi. Ich kann es kaum erwarten, dass er mir aus einer Mango einen Igel schnitzt. Ich bin glücklich und fühle mich sicher und geborgen.

  • Vater: 1948, Swissair-Linienpilot
  • Sohn: 1977, Linienpilot und Hausmann
  • Jahr der Szene: ca. 1985

Das Pferd versteht mich besser

Konzentriert rede ich mit meinem Lieblingspferd. Ich verspreche ihm eine ganze Tafel Schokolade. Hinten angespannt hängt die Dreschmaschine am Gespann. Das Pferd stemmt mit aller Kraft gegen das Gewicht, das unermüdlich nach hinten zieht. Vater holt das zweite Pferd als Unterstützung. Nochmals verspreche ich meinem Pferd die Schokolade. Plötzlich schlägt es den Kopf nach links und nach rechts, reisst alle Kraft zusammen und schleppt die Dreschmaschine die zehn fehlenden Meter bis zur Anhöhe. Geschafft: Das Pferd versteht mich besser als der Vater.

  • Tochter: 1927
  • Vater: 1900, Landwirt
  • Jahr der Szene: 1943

Nächste Lesung Vätergeschichten: Freitag 12. September 2025 im Integrationszentrum Wier in Ebnat Kappel

Vor einiger Zeit durfte ich im tisg-Integrationszentum Wier in Ebnat-Kappel bei unbegleiteten, minderjährigen Asylsuchenden berührende Vätergeschichten sammeln.

Diese Geschichten darf ich am 12. September 2025 von 19 bis 20 Uhr, anlässlich einer öffentlichen Lesung mit musikalischer Begleitung, im tisg Integrationszentrum Wier in Ebnat Kappel vortragen.

Sie sind alle zur Lesung und zum anschliessenden Apéro herzlich eingeladen!

Beste Grüsse & alles Liebe

Marcel Kräutli

Vätergeschichten-Lesung im Integrationszentrum Wier

 

Das Vätergeschichten-Feuer weitertragen

Liebe Leser:innen

Zwei Jahre sind es her, seit ich das erste Mal mit dem Archiv für Vätergeschichten in Kontakt kam. Ich durfte eine Vätergeschichtensammlung & -lesung rund um das Fest der Kulturen in St. Gallen organisieren.

Das Thema liess mich seither nicht mehr los. Zum einen beruflich, als Väterberater beim Ostschweizer Verein für das Kind, und zum anderen als Vater und Bezugsperson von drei Kindern, welche ich beim Aufwachsen begleite.

Geschichte und Geschichten begleiten mich, seit ich denken kann. Geschichte war mein Lieblingsfach in der Schule. Ich liebe es noch heute zu lesen und dadurch in andere Welten ein- und abzutauchen.

Ich bin überzeugt, dass das Erzählen von Geschichten – sogar schon vor der Geburt – eine wertvolle Grundlage für die Vater-Kind-Bindung schafft. Es eröffnet auch immer wieder besondere Momente der Zweisamkeit und bereichert damit sowohl das Vater- als auch das Kindsein. Im Wissen, dass das Erzählen von Geschichten bisweilen ziemlich fordern kann. Bei mir zum Beispiel dann, wenn das eine Kind immer genau die eine – wirklich partout keine andere – Geschichte erzählt haben will und auch keine – noch so kleine – Abänderung toleriert. Oder das andere Kind keine vorgelesenen Geschichten akzeptiert und in ihren Worten, «Gschichte usem Muul» (als Begriff für «frei erfundene Geschichten») hören möchte.

Überzeugt davon, dass es nicht die eine Väterlichkeit, sondern eben viele Formen von Väterlichkeit(en) gibt, bin ich beruflich sehr neugierig darauf zu hören, wie Väterlichkeit erinnert wird. Der Frage nachzugehen, ob es generationelle und kulturelle Unterschiede gibt, oder vielmehr herauszufinden, wo die Gemeinsamkeiten liegen, reizt mich.

Darum freue ich mich sehr, das Vätergeschichten-Feuer von Mark Riklin übernehmen zu dürfen.

Ich bin geehrt und dankbar, dieses Feuer weitertragen zu dürfen. Die Glut zu hüten, von Zeit zu Zeit zu schüren und mit neuen, inspirierenden Geschichten lebendig zu halten.

Ich freue mich auf diesen Weg, viele spannende Begegnungen und noch mehr bereichernde Geschichten!

Herzliche Grüße
Marcel Kräutli

Marcel Kräutli ist neuer Leiter des Archivs für Vätergeschichten

Ein Sonntag im Juni 2013. Dicht gedrängt sitzen die Besucher:innen am nationalen Vätertag auf den Fluren der Geburtenabteilung des Spitals Herisau, nachdem sie ihre nassen Regenmäntel an Infusionsständern aufgehängt haben. Ein Schauspieler-Duo liest erstmals ausgewählte Szenen aus dem neu gegründeten Archiv für Vätergeschichten. Als Schauplatz dient eine Wochenbettstation, wo neben Kindern und Müttern auch Väter auf die Welt kommen. Unvergesslich, wie Kindergeschrei aus den Kindern die Lesung akustisch untermalen. 12 Jahre später besteht das Archiv für Vätergeschichten aus über 300 Szenen, die auf eindrückliche Art illustrieren, wie sich das Bild des Vaters im Laufe der Zeit verändert hat. Anfangs Jahr ist die Leitung des Archivs für Vätergeschichten von Mark Riklin auf Marcel Kräutli, Väterberater beim Ostschweizer Verein für das Kind, übergegangen – eine ideale Besetzung,  herzlich willkommen!

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